Es war einmal ein Suchender, der einen weisen Scheich in seinem Palast aufsuchte. Er fragte den Scheich: „Bitte oh edle Hoheit, was ist die wichtigste Weisheit die du zu verkünden hast.“ „Bevor ich dir das verraten kann Fremder, musst du einen Test bestehen.“, sprach der Scheich. „Schaue dir meinen paradiesischen Palast an und kehre dann zu mir zurück. Du musst lediglich dabei einen Löffel mit einem Ei darauf transportieren.“
Der Suchende machte sich sofort auf. Bei seinem Weg durch den Palast staunte er über die prachtvollen Blüten und Farben. Noch nie in seinem Leben hatte er so schöne Dinge gesehen. Seine Freude war so groß, dass ihm schnell das Ei vom Löffel herunter viel. Er ging zurück zum Scheich und bedankte sich, dass er so etwas Herrliches erleben durfte.
„Was ist jetzt deine größte Weisheit oh Herr?“, fragte der Suchende. „Gleich“, entgegnete ihm der Scheich ruhig und sah, dass das Ei nicht mehr auf dem Löffel war. „Gehe nochmal durch den Palast, achte aber jetzt ausschließlich darauf, dass dir das Ei nicht vom Löffel entschwindet.“
Eifrig startete der Suchende wieder. Diesmal schaute er aber weder links noch rechts. Die ganze Pracht des Palastes zog an ihm vorbei. Seine ganze Konzentration lag auf der Unversehrtheit des Eis – wie zu erwarten, schaffte er es das Ei heil zum Scheich zurück zu bringen. „Diesmal oh Herr habe ich es geschafft. Zwar konnte ich mich nicht ein zweites Mal an deinem anmutigen Palast erfreuen, aber ich habe das Ei sicher zurück gebracht. Nun sage mir bitte endlich deine größte Weisheit.“
Mit einem Lächeln schaute der Scheich ihn an. „Du hast sie gerade selber erfahren. Bei deinem ersten Rundgang hat dich mein prächtiger Palast so stark abgelenkt, dass dir das Ei heruntergefallen ist. Bei deinem zweiten Lauf hast du das Ei unversehrt zu mir zurück gebracht. Doch leider hattest du keinen Blick für die Schönheit meines Palastes übrig. Du konntest dich nicht daran erfreuen und hast den wunderschönen Anblick verpasst.“
„Wie du siehst ist weder das Eine, noch das Andere vollständig erstrebenswert. Also, meine größte Weisheit für dich heißt: Die Kunst des Lebens besteht darin, eine Ausgeglichenheit zu finden. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Die Mitte wird dir den Weg weisen.“
Was hat das mit deinen Zielen und deinem Leben zu tun?
Diese Geschichte habe ich irgendwann mal in ähnlicher Form gehört. Nun mein Bezug zur Überschrift. Oft fragt man sich im Leben, ob man etwas verpasst wenn man ein ganz bestimmtes Ziel verfolgt und dafür viel Zeit investiert. Ich selber habe häufig darüber nachgedacht, ob es nicht Sinn macht komplett das Ruder abzugeben und mir überhaupt keine Ziele zu setzen. Jetzt endlich ist meine persönliche Lösung aber so wie in der Geschichte die goldene Mitte.
Im Leben gibt es so schöne und herrliche Versuchungen sowie Ablenkungen, dass man sein gewähltes Ziel nicht weiterverfolgt. Man lässt es schnell liegen und entwickelt im Nu Strebsamkeit für andere Dinge. Es könnte sein, dass man am Ende gar nichts erreicht hat, weil man immer den Ruf der neuen Verführung gefolgt ist.
Wenn du stattdessen sehr fokussiert ein Ziel verfolgst und erreichst, kannst du aber die Dinge um dich herum nicht richtig genießen. Das betrifft vor allem Leute, die den ganzen Tag ihre Gedanken nur um eine Sache kreisen lassen. Dir entgeht viel bei einem solch starren Weg zum Ziel. Nicht selten hätte man beispielsweise auch Menschen bemerkt, die einem Hilfe für die Zielerreichung geben würden. Doch diese hat man ausgeblendet.
Da beides für mich nicht optimal ist, versuche ich meine Ziele sicher von innen heraus zu tragen und zu verfolgen, ohne dabei jedoch die Schönheit des Lebens oder die Großartigkeit anderer Menschen zu verpassen. Dieser Mittelweg ist nicht immer einfach. Wichtig ist dabei die Art des Ziels und wie es zu dir passt, was wir zu einem anderen Zeitpunkt nochmal ansprechen.
Ich hoffe dir hat die Märchenstunde etwas gebracht, Sascha
Photo: © Kevin Dooley
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